Krieg in der Kornkammer Europas und die Folgen für die globale Lebensmittelversorgung

Angebotsdefizite, steigende Energiekosten und ein Krieg in der Ukraine haben dazu geführt, dass die Preise vieler Agrargüter seit Wochen stark ansteigen. Im Folgenden Blogpost lesen Sie mehr dazu.

Titelbild des Blogposts

Agrargüter wie Weizen, Soja oder Kulturgüter waren bereits vor Kriegsbeginn deutlich verteuert. Dies geschah aufgrund zügelloser Geldpolitik im Rahmen der Pandemiebekämpfung und der damit verbundenen hohen Liquidität an den Märkten. Staatliche Regulierungsmaßnahmen im Zuge der „Pandemiebekämpfung“ verschlimmerten die Situation.

Hintergrund: Staatliche Regulierung führt erfahrungsgemäß zu Preisanstiegen. Das folgende Beispiel aus der Honorarberatung soll dies verdeutlichen: So berichtete uns ein norddeutscher Großbauer und wichtiger Erdbeerlieferant für die Marmeladenindustrie, dass im Zuge der„Pandemiebekämpfung“ beispielsweise nur noch ein Pflücker pro Schlafcontainer untergebracht werden durfte. Ebenso durfte jeweils nur ein Erntehelfer im „Sprinter“ zum Feld gefahren werden. Das Ergebnis: eine Kostenexplosion und viele Produzenten wurden aus dem Markt gedrängt. Folge für den Verbraucher: ein Preisanstieg von 25% im Supermarkt.

Mit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine kam es nun auch angebotsseitig zu einer der größten Verwerfungen im internationalen Agrargüterhandel seit langem. Denn oft vergessen: Die Ukraine ist ein wichtiger Exporteur von Lebensmitteln. Knapp ein Drittel des weltweit exportierten Weizens, circa ein Fünftel des weltweit gehandelten Mais sowie die Hälfte des Sonnenblumenöls kamen bisher aus der Ukraine. Die günstigen klimatischen Gegebenheiten, die hervorragenden „schwarzen Erden“, niedrige Lohnkosten sowie eine gute Anbindung an Exporthäfen sind wichtige Gründe, wieso die Ukraine zurecht auch als „die Kornkammer Europas“ bezeichnet wird.

Grafik oben: Kaum ein Agrargut war in den vergangenen Monaten (in den Supermärkten) so umkämpft wie Sonnenblumenöl. Der Grund: Die Ukraine ist der größte Exporteur.

Krieg erschwert ertragreiche Landwirtschaft

In nahezu kriegseuphorisch anmutender Begeisterung der deutschen Medien für Waffenlieferung in die Ukraine sollte eines nicht vergessen werden: Kriegshandlungen erschweren erfolgreiche landwirtschaftliche Arbeit. Wo Panzer über Felder rollen und Artilleriekanonen schießen, wird in der Regel kein Bauer sein Felder bestellen können. Um ein erfolgreiches Erntejahr einfahren zu können, muss das Düngen der Felder beispielsweise in der Regel spätestens bis Mitte April erfolgt sein. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist unseres Erachtens unklar, wie groß die Beeinträchtigung der ukrainischen Landwirtschaft und damit des ukrainischen Anteils an den globalen Exportmärkten sein wird. Folglich ist das Erstellen von Prognosen derzeit sehr schwierig. Wahrscheinlich ist aber, dass der ukrainische Anteil am diesjährigen globalen Agrargüterhandel bereits deutlich geringer ausfallen dürfte.

Sollten darüber hinaus noch weitere ukrainische Exporthäfen „in die russische Hand“ gelangen, dürfte dies die Situation weiter verschärfen, da ein Export großer Agrargütermengen nach Europa auf dem Landweg über Rumänien als undurchführbar gilt. Die wichtigsten Getreideexporthäfen der Ukraine sind dabei Odessa sowie Mikolajew, von denen Letzteres derzeit als umkämpft gilt. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Lage hier entwickelt.

Und gerade in Anbetracht dieses Umstandes wird eigentlich ein jahrzehntealtes Problem deutlich: Es gibt grundsätzlich ausreichend Agrargüter zur Versorgung der Weltbevölkerung, nur sind diese ungleich oder sogar ungerecht verteilt.

Hohe Lebensmittelpreise durch Angebotsdefizite und ungleiche Verteilung

Da Lebensmittel für Menschen ein essenzielles Grundbedürfnis darstellen, haben sie naturgemäß eine geringe Preiselastizität. Anders formuliert: wie schon in der Bibel, als der hungrige Esau seinem Bruder Jakob seinen Erbanspruch gegen einen Teller Linsen verkaufte, ist der Mensch in der misslichen Lage des Hungers, offenbar bereit nahezu jeden Preis bezahlen. Auf die heutige Zeit übertragen bedeutet dies für uns: Fallen die Angebotsmengen an den internationalen Agrargüterhandelsplätzen, steigen die Preise. Es vergrößert sich folglich auch das Preisgefälle zwischen Regionen mit hohem Lebensmittelangebot und solchen die auf Importe angewiesen sind. Im Extremfall kann dies verehrende Folgen für die Menschen in stark importabhängigen Staaten haben, wozu insbesondere Staaten wie Afghanistan, Ägypten, Tunesien etc. gehören. Bei niedrigem Selbstversorgungsgrad und gleichzeitig schwacher Währung gegenüber dem US-Dollar steigen in diesen Ländern regelmäßig die Kosten für Lebensmittel. Und kaum eine Währung ist in den vergangenen Wochen so stark gestiegen wie der US-Dollar! Die zeitnahen Folgen für die Menschen in diesen Regionen können derzeit nur erahnt werden. Wir erinnern an dieser Stelle an den arabischenFrühling 2011, der eine „Preisexplosion bei Benzin und Lebensmitteln“ zumcAnlasse hatte und in einer nie dagewesenen Flüchtlingskrise in Europa endete.

Ich zitiere an dieser Stelle gerne die renommierte französische Zeitung Le Monde Diplomatique vom 9. September 2011 (Link):

„Am Brot lassen sich die wichtigsten Konfliktlinien der Weltpolitik aufzeigen, bis hin zu den Ursachen des „arabischen Frühlings“, der seine Fortsetzung in einem Sommer der sozialenUnruhen gefunden hat. (…) Zwischen Juni 2010 und Juni 2011 hat sich derWeltmarktpreis für Getreide nahezu verdoppelt, was für viele Regionen unserer Erde eine Katastrophe ist. Im selben Zeitraum wurden mehrere Regierungen gestürzt, kam es in vielen Hauptstädten – von Bischkek bis Nairobi – zu gewaltsamen Protesten und in mehreren Ländern wie Libyen, Jemen, Syrien undSudan zu neuen Bürgerkriegen. (…) Bei all diesen Konflikten hatten die erstenProteste mehr oder weniger mit dem Preis des besagten Brotlaibs zu tun. Und auch wenn man bei diesen Unruhen nicht von Ressourcenkonflikten im wörtlichen Sinne sprechen kann, war ihr Auslöser doch die Brotfrage.

Staatliche Interventionen und Protektionismus erschweren die globale Lebensmittelversorgung

Um auf das Erdbeer-Beispiel zu Beginn zurückzukommen: Es sind vielfach die in Panik durchgeführten staatlichen Interventionen, die die Probleme verschärfen. Im Jahr 2022 scheint man aus den Fehlern der Vergangenheit offenbar nicht gelernt zu haben, denn auch dieses Jahr schien es zunächst so, dass es offenbar gerade in Australien und Indien Rekordernten und damit auch Rekordexporte geben würde. Dies schien zunächst die Angebotssituation im internationalen Getreidehandel aufgrund des befürchteten Wegfalls ukrainischem oder russischem Weizens deutlich zu entschärfen.

Doch noch bevor es zu einer Erholung auf den Märkten kommen konnte, hat Indien als erster großer Produzent und Exporteur Mitte Mai 2022 ein Exportverbot für Weizen verhängt. Hintergrund - oder vielleicht auch nur vorgeschobener Grund - ist eine anhaltende Hitzewelle. Und hier wird wieder klar: In Krisen ist sich jeder selbst am nächsten. Und das protektionistische Agieren der Schwellenländer auf den Agrarmärkten zur Befriedung der eigenen Bevölkerung ist übrigens nicht neu: Bereits ab 2008 nahmen die Exportverbote zum Beispiel für Reis in Vietnam oder Indien damals die folgende Lebensmittelpreisinflation vorweg.

Düngerpreise auf Rekordniveau verteuern landwirtschaftliche Produktion und führen zu Rekordgewinnen bei westlichen Düngerproduzenten

Ein weiterer wesentlicher Kostenfaktor der landwirtschaftlichen Produktion und damit bei den Verbraucherpreisen beim Konsumenten sind die Kosten für Düngemittel. Und auch hier gab es eine beachtliche Entwicklung, da Kanada einerseits, und andererseits die beiden Staaten Russland und Belarus zusammen zu den größten Kaliproduzenten der Welt gehören. Durch Sanktionen werden sich deren Exportmengen im Jahr 2022 drastisch reduzieren, sodass sich aufgrund dieser Angebotsverknappung bereits jetzt der Weltmarktpreis deutlich erhöht hat. Die verschiedenen Düngerpreise sind dabei seit Anfang letzten Jahres durchschnittlich zwischen 200% und 600% gestiegen. Dies hat signifikante Auswirkungen auf die Ertragslage westlicher Düngerproduzenten.

So meldete beispielsweise das kanadische Unternehmen Nutrien, immerhin einer der größten Düngerproduzenten der Welt, eine enorm starke Verbesserung seiner Gewinne. Während das Geschäftsmodell Dünger in „normalen Zeiten“ vor wenigen Jahren noch als „unsexy“ und ertragsschwach galt, sehen hier einige Marktbeobachter mittlerweile die heißeste Wette des Jahrzehnts. Denn es sind gerade die Düngemittelproduzenten in der westlichen Welt, die derzeit besonders von den Verwerfungen an den internationalen Märkten profitieren.

Unternehmen wie Nutrien schließen diese Angebotslücke, die die sanktionierten russischen und belarussischen Unternehmen auf den Weltmärkten hinterlassen. Dies geschieht auch unter Inkaufnahme regelmäßig deutlich höherer Produktionskosten in den westlichen Staaten. Denn Stickstoffdünger wird dort „normalerweise“dort günstig hergestellt, wo Erdgas billig ist (Russland!) und Kaliminen sind dort kostengünstig wo der Sicherheitsstandard niedrig ist (Belarus!).

Kurz: Die westliche Welt verhängt Sanktionen gegen Russland und Belarus. Deren günstig und in großen Mengen produzierten Düngemittel verschwinden von Weltmärkten oder verteuern sich durch Strafzölle. Die Preise für Düngemittel steigen und westliche Düngerproduzenten können ihre Ertragslage verbessern. Düngerproduzenten wie Nutrien, Mosaic oder ICL zählen hierbei zu den großen Profiteuren:

Die Kehrseite: durch die gestiegenen Düngerpreise erhöhen sich dieProduktionskosten bei den Bauern, welche diese in Form höherer Preise an die Konsumenten weitergeben. Die steigenden Düngerpreise sind folglich auch ein Grund für „die Inflation auf dem Teller“.

Grain Traider mit Rekordgewinnen

Für die globalen "Grain Trader“ sind dies ebenfalls derzeit wahrlich goldene Zeiten. Sie erfüllen eine für die globale Wirtschaft wichtige Funktion des optimalen Ausgleiches der internationalen Preisgefälle im Getreidesegment. Die bekanntesten und größten Vertreter dieser Branche haben dabei den Spitznamen „ABCD-Quartett“: Archer Daniels Midland, Bunge, Cargill und Louis Dreyfuß. Diesen Unternehmen sagt man vielfach nach, am besten über Marktgegebenheiten informiert zu sein.

Ganz stark vereinfacht: die internationalen Getreide-Multis kaufen Getreide dort, wo es günstig ist und transportieren dieses dorthin wo es knapper und damit teurer ist. So nutzen sie für sich die internationalen Preisgefälle. Dafür nutzen sie häufig eigene Infrastruktur wie beispielsweise Hafenterminals, Schiffe oder Züge. Bunge kauft zum Beispiel Sojabohnen in Brasilien bei Sojaaufkäufern ein und transportiert diese nach Europa, wo sie geschrotet werden. Aus den Sojabohnen werden so einerseits Sojaschrot für Tierfutter sowie Sojaöl als günstiges Speisefett (Backfett, Fertigprodukte usw.) Wollte man den europäischen Sojaverbrauch durch Anbau in Europa befriedigen, würde man hierfür in etwa die Fläche Österreichs benötigen.

Die Grain Trader handeln und verarbeiten derzeit volumenmäßig jedoch nichtmehr Getreide als vor der Corona- und Ukrainekrise. Dennoch können sie sich aufgrund stark gestiegener Preise über einen hohen Margenanstieg und folglich auch über gestiegene Gewinne freuen („EPS“).

Hintergrund: diese Unternehmen sind weitestgehend vertikal integriert und können so regelmäßig besonders stark von hoher Volatilität an den Märkten profitieren. Sie haben oftmals bereits vor den Krisen mit ihren Zulieferern langfristige sowie für sie vorteilhafte Abnahmeverträge geschlossen und leiden selbst bisher nur eingeschränkt unter der Kosteninflation in der Industrie. Gerade das Unternehmen Bunge scheint aufgrund seines Fokus auf die europäischen Absatzmärkte besonders von den derzeit am Markt herrschenden Verwerfungen zu profitieren.

Das Unternehmen Bunge konnte seit Erstvorstellung im Buch im Oktober 2020 in Dollar um knapp 120 Prozent zulegen. Durch den starken Dollar konnten Anleger aus Deutschland und Österreich sogar knapp 150 Prozent Kursgewinn verbuchen(43 Euro auf 107 Euro).

 

Aussichten für die Grain Trader

Bei den aktuellen Getreidepreisen gibt es wenige Grain Traider, die nicht viel Geld verdienen. Nicht wenige Brancheninsider gehen derzeit von anhaltend hohen Getreidepreisen aus und sehen die Branche angebotsseitig „noch nicht über den Berg“. Zumindest mittelfristig dürfte die Ertragslage der Grain Traider folglich solide bleiben. Dennoch, auch in dieser Industrie gibt es inflationäre Tendenzen, die sich bereits jetzt immer stärker abzeichnen. Unternehmen wie ADM oder Bunge klagen über deutlich gestiegene Kosten, insbesondere bei Personal oder im Rahmen neuer Investitionen in Infrastruktur (Lager, Schiffe usw.). Diese Entwicklung sollte unbedingt genauer verfolgt werden.

Handlungsempfehlung  „Bunge“

Auch wenn derzeit das Makroumfeld sowie die Weltpolitik der Agrarbranche starken Rückenwind geben: Wer sich als Euro-Anleger über bis zu 150 Prozent Kursgewinn mit unserer Aktienempfehlung freuen konnte, sollte auf jeden Fall Gewinnmitnahmen prüfen. Denn Gewinnmitnahmen haben bisher noch niemandem geschadet. Und das gerade in Anbetracht dessen, dass wir die aktuelle Dollarstärke nicht für nachhaltig erachten.

Quelle Titelbild: Shutterstock

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